Pauschaltourismus erspart Überraschungen und macht´s bequem. Thomas Cook ist eine Marke (unter anderen), die dafür steht. Heute mutmaßt man Stereotypes und All Inclusive Anlagen. Und doch war es einmal anders. Der Verlag Rogner & Bernhard macht mit Miss Jemimas Journal – Eine Reise durch die Alpen ein Kleinod zugänglich aus den Anfängen der organisierten Gruppenreisen. Erst 1963, genau 100 Jahre nach der dokumentierten Reise, wurden auf einem britischen Dachboden die Aufzeichnungen von Jemima Morell über die erste Pauschalreise in die Alpen gefunden: von Thomas Cook persönlich für eine kleine Gruppe organisiert. Nun sind sie ins Deutsche übersetzt.
Sie reisten von London aus mit Schiff und Zug bis in die Schweiz und dann mit Zug und Postkutsche über imposantes Gebirge, nahmen dort auch Fußmärsche in Kauf und ritten auf Maultieren – die Mitglieder des vor allem für diesen Zweck gegründeten Junior United Alpine Club. Ihre Chronistin fanden sie in Miss Jemima, die mit scharfem Blick und gespitztem Stift die Details der Örtlichkeiten, Überraschungen des Reiseverlaufs und ohne weiteres auch die charakterlichen Eigenheiten der Mitreisenden notierte.
Nun, Miss Jemima war keine verwegene Pionierin des weiblichen alleine Reisens wie etwa Gertrude Bell oder Freya Stark. Aber was für eine Schreiberin! Würde sie heute einen Blog betreiben, so wäre ihr eine Fangemeinde gewiss. Erfrischend und respektlos, aber niemals entwürdigend kommentiert sie Land und Leute, Vorkommnisse am Wegesrand und auch die „Abzockereien“, die wohl bereits das frühe organisierte Reisen mit sich brachte. Und sie zeigt, dass wer in der Gruppe reist, immer genauso viel mit der Gruppe beschäftigt ist wie mit den neuen Eindrücken.
Wir befinden uns in diesem Buch in einem aufregenden Zwischenreich. Noch ist der Pauschaltourismus in seinen Kinderschuhen eine ganz aufs gewünschte Expeditionserlebnis abgestimmte Dienstleistung. Zugleich rühmte sich Thomas Cook, dass er das Reisen durch die Alpen auch für jene möglich mache, die nicht außerordentlich starke physische und psychische Kräfte hätten. Das Beobachten, was geschieht, wie es weiter geht, steht auch bei der frühen Pauschalreise schon dem wirklich alleine entscheiden und entdecken vor. Der Plan ist gesteckt, der unwegsames Gelände zugänglich macht, aber auch den Rhythmus vorgibt. Umso besser, dass eine so kluge Beobachterin anwesend war!
Warum Jemima Morells wunderbar unterhaltsame Aufzeichnungen solange verschollen blieben, ist unklar. Die Autorin heiratete, bekam einen Sohn … und trat als Schriftstellerin nicht mehr hervor. Nun wurde sie posthum als eben diese entdeckt!
Eine echte Leseempfehlung zur (Früh-)geschichte des organisierten Reisens.
Jemima Morell: Miss Jemimas Journal. Eine Reise durch die Alpen.
Mit einem Vorwort von Andreas Lesti
Verlag Rogner & Bernhard (Berlin), 2014. 17,95 €
Anmerkung: Michaela Schiffer von vivamundo Reisen erzählte mir ganz passend heute Abend von ihren „Pauschalreisen“. Rund um ihre buchbaren Angebote bietet sie Variationen auf Kund(inn)enwunsch, auch bei kleinen Gruppen. Sie hält die Balance … zwischen Absicherung durch Reise-Know-How und flexiblen Wünschen. Auch das ist empfehlenswert!