In Anhänglichkeit an nord-östliche Glücksmomente (und eine wiederentdeckte kulinarische Passion) habe ich mir ein Kochbuch kommen lassen. Der Verlag Die Werkstatt bietet eine ganze Reihe von Kochbüchern zum Teil außergewöhnlicher Art – von afghanisch bis westafrikanisch.
Baltisch Kochen, so erfährt man im Einleitungsteil, das gibt es eigentlich gar nicht, weil es das Baltikum so nicht gibt. Entweder das Baltikum ist – für Europäer völlig unbekannt – als Gesamtheit der Ostseeanrainerstaaten definiert, dazu gehören dann auch Deutschland und Dänemark usw. Auf anderen Kontinenten sieht man das so, Ostsee=Baltic Sea…
Wenn im engeren Sinne von den drei baltischen Ländern gesprochen wird, so ist auch dies im Grunde sehr fragwürdig, da einerseits Estland durch die finnisch-ugurische kulturelle Zugehörigkeit sich recht ordentlich von Lettland und Litauen unterscheidet, andererseits das (erz-)katholische Litauen wiederum sehr polnisch geprägt ist. Und doch werden „bei uns“ die drei kleinen baltischen Staaten als wirkliche Einheit gesehen, und solange in deutschen Landen der überwiegende Teil der Menschen diese weder unterscheiden noch geographisch in die richtige Reihenfolge bringen kann, bleibt der übergeordnete Fehler auch beim Kochbuch unbeachtet. Dieses wartet im Rezeptteil jedenfalls mit einem auf: Einer ausgesprochen zutatenarmen Arme-Leute-Küche, die der Raffinesse entbehrt. Mehl, Milch, Wasser, diverse Getreidebreie, ab und an Kartoffeln, hierzulande eher verachtete Feldfrüchte wie Kohl und Rote Beete, Kümmel und Dill, und wenn wir einen guten Tag in Großmutters Zeiten erwischt haben: Speck. Pilze, im Herbst gibt´s Pilze! Diese karge Küche verdankt sich wohl tatsächlich den kurzen Zeiten nationaler Unabhängigkeit und greift auf Großmutters Landküche zwischen den Kriegen zurück.
Da erinnere ich mich an eine recht skurrile Lektüre: Das Champignonvermächtnis beschreibt völlig kauzig das Leben lettischer Arbeitsimmigranten in Irland, die eben zum Champignonernten eingesetzt werden. Neben der Beschreibung frühkapitalistischer Versklavung (EU sei Dank) und mancher außergewöhnlicher Lebensweisheit (der Autorin sei Dank) … enthält das Buch auch diverse Champignon-Rezepte. Auch diese karg und dem Motto „Man nehme, so man hat“ geschuldet: Pilze, Speck, Zwiebeln… viel mehr braucht es da in der Regel nicht. Und wenn wir schon bei den wenigen Möglichkeiten sind, sich das Baltikum, das es nicht gibt, aber doch, zu erlesen – denn wenig ist übersetzt – so sei ausdrücklich Warum hast du geweint der Lettin Dakse Ruksane empfohlen, ein großer Spaß, der vom weiblichen Überlebenswillen ganz eigener Art ebenso wie das Pilz-Epos erzählt.
Kürzlich sah ich, dass die mittlerweile von mir hoch verehrte Sofi Oksanen nun ihr Vorgängerbuch zu Fegefeuer in deutschen Buchländen präsentieren kann: Stalins Kühe macht mich wahrhaftig neugierig, und ich weiß nicht,ob ich die Geduld habe, bis es als Taschenbuch vorliegt.